Fotos und Text: Maria Michaelys (Kl. 10/1)
Redakteurin bei InVitrO – Die Schülerzeitung im Schaukasten und im Internet
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„Antirassismus macht Schule“: dieses Projekt führt das Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt Schwedt seit drei Jahren am Schwedter Gauß-Gymnasium durch. In diesem Jahr gewannen sie damit den Franz-Bobzien-Preis, den die Stadt Oranienburg zusammen mit der Gedenkstätte und dem Museum Sachsenhausen alle zwei Jahre vergibt. Das Bündnis gewann den zweiten Platz: Ein Wochenende in der Gedenkstätte und in Jugendherberge Sachsenhausen.
Dadurch beginnt für zehn SchülernInnen des Einstein-Gymnasiums Angermünde und zehn der Dreiklang Oberschule Schwedt am Freitag, den 12.12.2014, gleich nach der Schule ein etwas anderes Wochenende. Nachdem wir in der Jugendherberge der Gedenkstätte in Oranienburg eingetroffen sind, stärken wir uns.
Später machen wir uns mit der Schülergruppe der Dreiklang Oberschule bekannt. Wir alle sind freiwillig in unserer Freizeit hier. Die anwesenden SchülerInnen zeichnet vor allem ihr Engagement aus. Am selben Abend erfahren wir, dass die Herberge früher die Villa Theodor Eikes war. Der Mann, der jahrelang als Inspekteur der Konzentrationslager für sämtliche KZs verantwortlich war. Unsere Nächte verbringen wir also in dem ehemaligen Wohnort eines Haupttäters der NS-Zeit.
Mit dem Thema KZ kann man sich auf viele Arten beschäftigen. Bis spät in den Abend lesen wir Gedichte wie „Der Chor der Geretteten“ von Nelly Sachs (sie überlebte durch die Flucht vor den Nazis) oder „Es brennt, Brüder, es brennt“ von Mordechai Gebirtig (von den Nazis ermordet). Dabei üben wir auch schon das Rezitieren solcher Gedichte und Texte für unsere Gedenkveranstaltung am Sonntag. Danach gucken wir eine Doku über Überlebende des Holocausts und diskutieren darüber. Perfekt, um sich auf das vorzubereiten, was uns morgen erwartet. Das KZ Sachsenhausen befindet sich nur einen kurzen Fußmarsch von uns entfernt.
Samstagmorgen um 9 Uhr stehen wir kuschelig verpackt in Wintersachen draußen. Unser Guide, der Sachsenhausener Gedenkstättenpädagoge Andreas Hoffmann, der uns das Wochenende begleiten wird, holt uns ab.
Unser Weg zur Gedenkstätte führt uns an ehemaligen SS-Kasernen vorbei.
Bevor wir das eigentliche Gelände betreten, sehen wir uns eine kleine Ausstellung in einem Gebäude davor an. Sie liefert nicht nur zahlreiche Informationen zu SS-Soldaten, sondern auch Bilder. Zeichnungen von ausgemergelten Häftlingen, wie sie geschlagen oder gehängt werden. Man könnte es fast makaber nennen, wenn es nicht zu real gewesen wäre. Als wir das eigentliche Gelände betreten, frieren wir schon ordentlich. Doch was findet man eigentlich vor, wenn man das KZ Sachsenhausen besucht? Das erste, was man schon von außen wahrnimmt, ist der Obelisk der Gedenkstätte, der fast 40 Meter in den Himmel ragt.
Er wurde zusammen mit einigen anderen Skulpturen auf dem Gelände erst gebaut, als das ehemalige Lager 1961 zur Gedenkstätte wurde. Das Gelände hat die Form eines Dreieckes. Dort, wo früher die Baracken standen, sind jetzt meist Kiesflächen. Einzelne Gebäude wie die Pathologie oder die Einzelhaftzellen stehen noch und beinhalten Ausstellungen.
Unser Guide erzählt uns von Geschehnissen im Lager. Auf dem Appellplatz mussten die Häftlinge jeden Tag morgens und abends zum Zählappell antreten. Diese konnten sich über mehrere Stunden hinziehen. Tod durch Kälte, Hunger oder Erschöpfung war allgegenwärtig. An einigen Gefangenen wurden medizinische Experimente durchgeführt. Immer wieder wurden Häftlinge gedemütigt, gefoltert, erschlagen, erschossen, gehängt … . Einige von uns schütteln sich bei dem, was sie hören. Erschreckend finden wir auch die systematische Exekution sowjetischer Kriegsgefangener (ca. 12 000 in wenigen Monaten). Diese wurden unter dem Vorwand einer medizinischen Untersuchung mit einem Genickschuss getötet. Das KZ diente auch als Arbeitslager. Außerhalb des Geländes wurden Häftlinge besonders in der Rüstungsindustrie eingesetzt, bis sie zumeist vor Erschöpfung starben.
Ich vergleiche meine Eindrücke mit denen vor einem halben Jahr: In meinem Jahrgang stand der Besuch des Lagers Sachenhausen bereits im Juni auf dem Stundenplan und war somit ein verpflichtender Klassenausflug. Wahrscheinlich sorgten die knapp zwei Stunden Zeit und die Hitze an diesem Wandertag dafür, dass unser Rundgang für mich eher oberflächlich ausfiel. Dass es einen Unterschied zwischen Sehen und Resignieren oder Fühlen und Denken gibt, wird mir jedoch erst an diesem Wochenende klar. Natürlich schafft man es, in zwei Tagen mehr Geschichten und Fakten zu hören als in nur zwei Stunden. Aber uns geht jetzt durchaus mehr durch den Kopf als das. Das eigene Innehalten und Denken, das Beachten der eigenen Emotionen und auch das Austauschen mit anderen sorgen dafür, dass alles einprägsamer und greifbarer wird.
Als es dunkel wird, bekommt das Lager eine ganz andere Atmosphäre. Am Abend sehen wir einen zweiten Film, diskutieren viel darüber und bereiten uns auf den morgigen Tag vor. Dazu üben wir unsere Gedichte und Texte und basteln mit den Schülern der Dreiklang Oberschule das, was fast jeder Religionsschüler unseres Gymnasiums im Schlaf kann: Origami-Kraniche. Der Origami-Kranich ist als internationales Symbol des Friedens und des Mitgefühls bekannt. Morgen wird er unserem Gedenken dienen. So lassen wir den Tag ausklingen und verarbeiten unsere Eindrücke.
Nach dem wir am Sonntag die Zimmer geräumt haben, treten wir erneut in die Kälte. Der Nebel, der früh noch liegt, passt zu der Stimmung, die an diesem Ort herrscht und sorgt zusätzlich für Atmosphäre.
Jeder nimmt sich mindestens einen Kranich und wir verteilen uns auf dem Gelände. Nun haben wir Zeit, individuell zu gedenken und den Kranich an eine Stelle zu legen, die uns bewegt. Dazu zählen Orte wie die Pathologie, die Einzelhaftzellen oder einer der Galgen. Unsere Friedensymbole werden trotz ihrer Einfachheit sofort zum Fotomotiv für viele Besucher.
Nach zwei Stunden treffen wir uns auf dem Appellplatz, dort, wo früher der Galgen stand. Es sind vor allem Schüler des Gymnasiums, die sich bereit erklärt haben, Gedichte und Texte vorzutragen. Wir sind allein auf dem Appellplatz, doch trotzdem sind wir schwer zu überhören. Redet man laut genug, hört man ein Echo, obwohl der Platz eigentlich weit und offen ist. Man hat fast das Gefühl, der Wiederhall wolle den eigenen Worten Nachdruck verleihen.
Anschließend folgen Schweigeminuten. Doch es ist nicht einfach, alle seine Gedanken in dieser Zeit zu ordnen. Danach verlassen wir das das Konzentrationslager Sachsenhausen und machen uns auf den Heimweg.
Ein besonderer Dank geht an das Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt Schwedt. Ebenso danken wir Herrn Rall, Religionslehrer am Einstein-Gymnasium, der sich mit um die organisatorische und inhaltliche Betreuung kümmerte und uns begleitete.