Globale Ausbeutung

Dritter Artikel der Reihe InVitrO: Unveröffentlichtes
Von Paul Behrendt und Johannes Schweizer (damals beide noch Q1)
Gastredakteure bei InVitrO – Die Schülerzeitung im Schaukasten und um Internet
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Wer hat meine Jeans genäht? Mit dieser und anderen Fragen beschäftigten sich einige Schülerinnen und Schüler des Einstein-Gymnasiums während der Projektwoche im Januar 2011. Ihr Ziel war es, Zusammenhänge der Globalisierung zu erkennen und zu verstehen.
Der selbstständigen Arbeit und Recherche zu einem bestimmten Thema folgte oft ein Rollenspiel, in dem die Teilnehmer der Projektgruppe selbst in die verschiedenen Rollen schlüpfen mussten. Besonders beliebt war das Kaffee-Spiel. Dabei wurden Rollen vom Plantagearbeiter bis zum Lebensmittelhändler verlost und eine fiktive Währung aus Spielgeld geschaffen. Während die Plantagenarbeiter mühsam Kaffeebohnen aus Papier produzieren mussten, um aufgrund der steigenden Lebensmittelpreise überhaupt über die Runden zu kommen, erfreuten sich Exporthändler und Plantagenbesitzer an wachsenden Einnahmen durch ihr Geschäft. Verblüffend schnell zeigte sich die auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich und die Brutalität des reinen Kapitalismus, in dem jeder nur auf sein eigenes Wohl schielt.

Agnes (links) und Maximilian (rechts) müssen die produzierten Kaffeebohnen verkaufen, um sich die Lebensmittel von Lukas (in der Mitte) kaufen zu können.
Agnes (links) und Maximilian (rechts) müssen die produzierten Kaffeebohnen verkaufen, um sich die Lebensmittel von Lukas (in der Mitte) kaufen zu können.

In den Expertenrunden sollte dann tiefer in die Thematik eingedrungen werden. Nach den belastenden Erfahrungen aus dem Rollenspiel (Paul und ich waren Plantagearbeiter!) fragten wir uns, wie es eigentlich zu solch verheerenden Abhängigkeiten der Entwicklungsländer kommen konnte. Auf der Suche nach den Wurzeln der Globalisierung stießen wir auf z.T. erschreckende Hintergründe.
Da wäre z.B. der Kontinent Afrika, der über enorme Ressourcen verfügt, dessen Entwicklung den ressourcenärmeren Industriestaaten jedoch weit hinterher ist. Weltweit müssen fast eine Milliarde Menschen hungern, während einige wenige immer reicher werden. Ist das Zufall? Untersucht man die Strukturen Afrikas vor dem Einsetzen der Kolonisation, erkennt man, dass die einzelnen Stammesgesellschaften in sich absolut perfekt in einer sogenannten Subsistenzwirtschaft (Selbstversorgung) funktionierten.
Die Menschen arbeiteten in übersichtlichen Gemeinschaften zur Versorgung der anderen Stammesmitglieder und – ganz wichtig – im Einklang mit der Natur. Begriffe wie „Geld“ oder „Eigentum“ waren ihnen völlig fremd. Der Handel mit anderen Stämmen stellte eher eine Ausnahme dar.
Mit solchen Verhältnissen konnten die europäischen Großmächte, die auf der Suche nach billigen Arbeitskräften, Rohstoffen, Boden sowie Absatzmärkten für ihre Industrieprodukte waren, allerdings wenig anfangen. Deshalb zerschlugen sie die bestehenden Strukturen gewaltsam und führten die Stammesmitglieder in die Sklaverei. Die Schaffung von Monokulturen sorgte – neben den ökologischen Problemen – für eine Importabhängigkeit der Entwicklungsländer, da in einem Land nur noch eine Ware, wie z.B. Tee, Kaffee oder Baumwolle produziert werden konnte. Die restlichen Waren mussten nun über Importe aus dem Ausland erworben werden. Damit hing der Wohlstand der Afrikaner plötzlich vom Weltmarkt ab, der sie bis hierhin nie interessiert hatte. Das Verhältnis zwischen Exporterlösen und Importkosten, das man auch „terms of trade“ nennt, verschlechterte sich aus Sicht der Entwicklungsländer zunehmend.
Die Abkürzung „t.o.t.“ ist sinnbildlich für den Trend, den diese Länder vollführen. Durch die dauerhaften Zahlungsbilanzdefizite gerieten sie durch Kredite, die oft fälschlicherweise als Entwicklungshilfe bezeichnet wurden, immer tiefer in die Schuldenfalle und somit in eine Spirale der Abhängigkeit und des sozialen Elends.
Allein das Wort „Verschuldung“, in dem ja schon das Wort „Schuld“ steckt, verwischt die ursächliche Schuld der Industriestaaten am sozialen Elend der Dritten Welt völlig und verwechselt zugleich Täter und Opfer. Eine Entschuldigung in Form einer Entschuldung, also eines Schuldenerlasses, wäre aus moralischer Sichtweise sicher angebracht, auch wenn dies nicht alle ökologischen Belastungen und sozialen Spannungen mit einem Schlag beseitigen würde. Ein solcher Schritt bleibt jedoch weiterhin unwahrscheinlich, solange es Machtstrukturen gibt, die sich von dieser Abhängigkeit bereichern.
Uns muss bewusst werden, dass auch wir es sind, die noch heute von der Armut vieler Menschen profitieren. Kleidung, Lebensmittel, Elektronik und Schmuck kommen zu großen Teilen aus Ländern der Dritten Welt und werden dort oft unter katastrophalen Bedingungen für Mensch und Umwelt produziert. Man muss aber auch erwähnen, dass einige Organisationen für lebenswürdigere Verhältnisse der Arbeiter sorgen. Diese Organisationen sind jedoch stets auf die weltweite Nachfrage angewiesen.
Wir müssen uns gleichwohl im Klaren sein, dass wir in einer gerechteren Welt vermehrt auf den eigenen, materialistischen Wohlstand verzichten müssen, denn viel mehr verschwenderische Nationen wie Deutschland oder die USA wird unsere ressourcenbegrenzte Erde nicht ohne weiteres Konfliktpotenzial vertragen können. Regionales Denken wird hier gefordert sein. Warum nicht mal auf die eigenen Stärken setzen und den Gemüsehändler von nebenan unterstützen. So schön wie eine internationale Arbeitsteilung in der Globalisierung im ersten Moment erscheint, langfristig gesehen profitieren nur diejenigen, die schon jetzt über großen Reichtum verfügen, wie z.B. Großhändler oder internationale Konzerne, womit wir wieder zurück beim Kaffee-Spiel angelangt wären.

4 thoughts on “Globale Ausbeutung

  1. Wie es in der Welt zugeht … Ich bin sprachlos. Aber ich habe eine Frage: Habt ihr das alles in der Projektwoche 2011 herausgearbeitet oder habt ihr euch für diesen gemeinsamen Artikel zusätzliche Informationen gesucht?

  2. Ich freue mich sehr, dass der Artikel doch noch veröffentlicht wurde. Auch wenn die Projektwoche nun ein Jahr her ist, bleibt der Inhalt doch recht zeitgemäß.
    @Carolin: Für den Artikel haben Paul und ich Zusatzinformationen aus Internet und Literatur genutzt. Die Projektwoche sollte einen gewissen Eindruck zum Thema Globalisierung vermitteln, auf dessen Grundlage wir eine Präsentation am Ende der Woche zu einem selbst gewählten Thema durchführen sollten. Paul und ich haben uns für einen InVitrO-Artikel entschieden.

  3. Gut geschrieben und zusammengefasst Jungs!
    Es lohnt sich, auch längere Texte zu lesen – insbesondere bei einem so wichtigen Thema.

  4. Liebe Redakteure,
    als Leiterin der Jeans-Projektwoche freue ich mich sehr, dass der Artikel nach so langer Zeit doch noch veröffentlicht wurde. So habe ich mich nun ebenfalls getraut, meinen damals nach der Projektwoche angefangenen, aber nie fertig gestellten Artikel über meine Patenkind-Idee doch noch zu Ende zu schreiben und ihn Herrn Rall weiterzuleiten. Vielen Dank für den Anstoß!
    Silke Treichel

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