Jennifer Celina Wolf (Klasse 10/1): „Verloren!“
Hier stehe ich nun. In einem stetig flammenden weißen Ballkleid. Mir gegenüber: Mein zwei-tes Ich. Sieht aus wie ich, natürlich. Nur trägt diese Perversion von mir Schwarz.
Mich umhüllt der Wind. Langsam wird er kälter und versucht, sich in mich hineinzukrallen. Vergeblich! Die Flammen meines Kleides lodern auf, erschüttern mich und beeindrucken mein Gegenüber doch wenig.
Ein erneuter Windzug klammert sich an mir fest und versucht offenbar mich zu zerreißen, mich zumindest zu erschüttern. Mit Erfolg.
Wie soll ich jemanden bekämpfen, der ein Stück meiner verdammten Seele besitzt? Ich habe doch jetzt schon verloren!
Da ertönt Ysis‘ Stimme. Leise, dumpf. Irgendwo im Hintergrund und verliert sich im Sturm, der bereits meine Haut zum Erfrieren gebracht hat. Ein erneutes Aufzischen der Flammen meines Kleides erlöst mich; rettet mich aus meiner Gedankenwelt und befördert mich schla-gartig zurück in meine persönliche Arena.
Man nennt sie „Blacks“, angesichts der Tatsache, das „Böse“, „Dunkle“ der eigenen Seele zu sein.
„Mach doch endlich was!“ Ysis schreit mich aus der Ferne an. Ich gehe stetig, langsam, aber mutig auf das Monster vor mir zu. Cobra, ihr Name, steht immer noch da. Sie hat es also mit dem Wind versucht. Mich aus dem Konzept gebracht und gehofft, ich würde an meine Nie-derlage glauben.
Mit jedem Schritt, den ich zurücklege, entzünden sich die Flammen mehr und mehr, versu-chen die Umgebung zu zerfetzen, sie ganz und gar für mich einzunehmen. Der Boden unter meinen Füßen vibriert, scheint mir zu signalisieren, dass er mir mit aller Macht helfen wird. Ich kann auch das Wasser des entfernten Sees spüren. Alle meine Kräfte scheinen bereit für den Kampf.
Ysis kann ich nicht mehr hören. Ihre Gestalt wird von meinem „Schatten“ vollkommen ver-hüllt, weggesperrt. Sicherlich soll mich das zum Wanken bringen. Doch da irrt sie sich.
Ich stehe nun wenige Schritte von ihr entfernt auf einer Art Steinplatte. Worte werden wir nicht wechseln.
Wieder keschert mich der Wind ein; ihre Flammen wandeln sich blau. Die Steinplatte unter mir beginnt zu zerbröseln.
Ja, sie beherrscht die Elemente gut, aber ich kann das besser! Ich habe noch lange nicht verloren!
Ich beginne meine rechte Hand zu heben, balle sie zu einer Faust und neben mir löst sich ein tonnenschwerer Felsbrocken aus dem Sediment. Noch einmal lasse ich meine Hand blitzschnell zusammenzucken und der Felsen zersplittert. Ich erhebe meine linke Hand und breite sie ganz aus: Ein Windstoß schleudert die Splitter in Richtung meiner Gegnerin. Diese weicht nicht mal mehr aus, sondern schickt die Bruchstücke zu der Platte unter meinen Fü-ßen. Diese bricht. Der Boden beginnt zu knacken, reißt immer mehr auf und bricht schließlich unter mir zusammen.
Dank der Luftströme halte ich mich aufrecht, bleibe stark. Unter mir ergießen sich Lavaströ-me, umfließen meine Luftkapsel, es wird erstickend heiß. Ich klasse die Luft abkühlen, ge-frieren und zersprenge nun mit aller Macht das Vuklkangestein. Mein weißes Kleid fängt sich voll mit einer Staubschicht, scheint schwarz, doch die Flammen lodern weiter.
Ich blicke in ihr Gesicht. Sie muss einige Splitter abbekommen haben. Plötzlich spüre ich Wasser und höre die Stimme meines Vogels Ysis. Und ehe ich es überhaupt bemerke, löscht Ysis einen Feuerring, den Cobra um mich gezogen hatte. Es qualmt und raucht. Das versickernde Seewasser will ich unbedingt auffangen, doch es gelingt mir nicht.
Plötzlich scheint auch der Wind in weite Ferne gerückt, so dass ich seine Kraft nicht mehr nutzen kann. Ich knalle auf den harten Steinboden, der mir nichtssagend erscheint.
Sie kommt näher, wandert mit ihren starren Schritten direkt auf mich zu.
Ich muss anmerken, wie hübsch sie in dem nun schneeweißen Ballkleid und mit den dunkel-braunen Locken wirkt. Ihre rosa Wangen und die grünen Augen sind leuchtend. Ihre Haut beginnt zu strahlen. Es ist kein Ruß mehr zu erkennen.
Dann sehe ich an mir herab. Meine Flammen erlöschen; das Kleid ist schwarz.
Paul Wittmiß (Klasse 10/3): „Verloren!“
Sie sieht aus dem Fenster mit einem so leeren Blick. Sie trägt keinen Ausdruck in den Augen, nicht mehr. Es regnet. Ein Tag wie jeder andere auch sollte es sein, doch sie hat verloren, alles, was sie nur hätte verlieren können. Sie denkt nichts, fühlt nichts außer einer unbe-schreiblichen Leere.
Sie ist Reporterin bei einem regionalen Magazin, welches jede Woche eine neue Auflage veröffentlicht. Man könnte sie auch als erfolgreich bezeichnen. Karriere war ihr schon immer wichtig, doch nicht so wichtig wie ihre Familie. Ihre Kinder liebt sie über alles. Ihren Mann dagegen schon lange nicht mehr. Schon seit fast einem Jahr rätselt sie, ob sie sich trennen will, doch sie kommt aus einer kleinbürgerlichen Familie und es schickt sich nun mal nicht, sich scheiden zu lassen. Aber hat sie eine Wahl? Für ihre Kinder wollte sie einen Vater, im-merhin brauchen sie einen Vater. Doch er? Er ist ein großer, kräftig gebauter Mann mit schwarzen Haaren und hat keinen festen Job. Gelegentlich trägt er die Zeitung aus, aber nur, weil sie ihn dazu drängt. Ginge es nach ihm, so würde er den ganzen Tag faul herumsitzen und nichts tun außer essen und rauchen. Trotzdem will sie die Scheidung nicht. Oder doch? Hat sie eine Wahl? Ja, aber …
Ja, aber an diesem Tag machte er ihr die Entscheidung etwas leichter. Sie hatte nicht damit gerechnet, was nun als nächstes kam. Er stand vor ihr und redete. Er redete so viel wie seit langem nicht mehr. Sie schaute ihm auf den Mund, sah, wie sich seine Lippen bewegten, doch sie hörte ihm nicht zu. Nur wenige Worte drangen an ihr Ohr.
„Ich will so nicht länger leben. Ich lasse mich von dir scheiden.“
In diesem Moment war sie, die doch sonst immer so cool bleibt, alles im Griff hat, geschockt. Kein Wort brachte sie hervor. Seine Koffer waren schon gepackt.
Heute Nacht schläft er in einem Hotel. Er braucht seine Ruhe, sagte er und ging ohne ein weiteres Wort. Die Tür fiel ins Schloss. Stille. Sie setzte sich. Ihre Kinder waren nicht zu Hause, sie waren zu Besuch bei ihrer Oma.
Sie hatte verloren. Doch was? Ihren langweiligen, unaufmerksamen und ekelhaften Ehe-mann? Ja! Sie hatte ihn verloren! In ihr kochte Wut, zugleich Verzweiflung.
Sie sieht aus dem Fenster mit einem so leeren Blick. Sie trägt keinen Ausdruck in den Augen, nicht mehr. Es regnet. Ein Tag wie jeder andere auch sollte es sein, doch sie hat verloren, alles, was sie nur hätte verlieren können. Sie denkt nichts, fühlt nichts außer einer unbeschreiblichen Leere.
Alexander Tessarek (10/1): „Verloren!“
Lizzy hatte mich schon wieder stehenlassen! Das Laufband, auf dem ich mich befand, surrte …
Wir waren gerade zusammen aus dem Urlaub gekommen. Mächtig braun gebrannt durch die Hitze, die in Spanien herrschte. Obwohl ich Sonne hasse wie die Pest, konnte ich dieser Un-ternehmung etwas abgewinnen, da es nie regnete: Regen und Feuchtigkeit tun mir nicht gut.
Lizzy war nach dem Portier aufgeregt ins Zimmer gerannt, das Zimmer, das ihre Eltern für uns reserviert hatten, ein Einzelzimmer.
Ich hingegen stieß mich am Schrank, welcher durch seine –im Gegensatz zum Raum- hellen Patina völlig deplatziert wirkte.
Zurück zur Gegenwart, die nach und nach begann, an meinen Nerven zu zerren.
Schwindlig war mir außerdem – das Laufband wurde zunehmend lauter …
„Bitte lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt!“, tönte es aus den Lautsprechern in der großen, mit Licht durchströmten Halle.
Ich hatte diese Art von Ansagen schon immer gehasst, doch mir blieb nichts anderes übrig als zu hoffen, dass Lizzy es hören würde. Weg von hier konnte ich jedenfalls nicht.
Die Situation versprühte eine gewisse Ironie, wenn man bedenkt, dass Selbiges schon einmal passiert war, zu der Zeit allerdings nicht mit Lizzy, sondern mit deren Eltern, die mich in jungen Jahren nach Kuba mitnahmen. Auf unserem Zielflughafen passierte das Gleiche, was jetzt passiert war: Ich wurde stehengelassen.
Der einzige Unterschied zu damals –und gewiss kein kleiner- war, dass ich anscheinend heute wirklich vergessen wurde.
Keiner hatte mich in den drei Stunden, die das Band lief, abgeholt, keiner hatte einen Blick auf den alten, aber doch sehr schönen Lederkoffer geworfen, der ich nun mal war …