Platznot im Klassenzimmer

Text und Fotos: Daniela Windolff, Redakteurin bei der Märkischen Odererzeitung (MOZ)
Quelle: zuerst erschienen in der Online-Ausgabe der MOZ am 10.11.2017, 20:50 Uhr – Aktualisiert 10.11.2017, 21:38
Link zum Originalartikel: http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/1617600/
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Schweizer Studenten bringen Tanzprojekt zum Thema Flucht ins Einstein-Gymnasium
Daniela Windolff / Angermünde (MOZ) Flucht, Krieg, Migration – solche Nachrichten sind alltäglich geworden und rütteln kaum noch auf. Ein ungewöhnliches Projekt von Studentinnen der Kunsthochschule Bern (Schweiz) bringt jungen Leuten dieses Thema anders nahe: durch Tanz. Sie gastierten im Angermünder Einstein-Gymnasium.
Stühle werden gerückt, Tische verschoben, mal hierhin, mal dorthin. Unentwegt huschen die drei Frauen durch den Raum, verweilen kurz, um gleich wieder aufzuspringen, aufgescheucht, getrieben, suchend, keuchend. Sie stiften Chaos, Verwirrung, Unsicherheit, mitunter sogar Angst, weil völlig ungewiss ist, was als Nächstes geschieht.
 

 
Genau darauf legen es die drei Frauen an. Es sind Schweizer Studentinnen der Hochschule der Künste Bern. Der Raum ist ein Klassenzimmer im Angermünder Einstein-Gymnasium. Das Publikum: Neuntklässler. Doch diese bleiben nicht lange Zuschauer. Es dauert nicht lange, bis sie selbst zu Akteuren einer ungewöhnlichen interaktiven Tanz-Performance werden, die unter dem Titel „déplace-toi“ das Thema Krieg, Flucht und Migration künstlerisch verarbeitet.
Die Tanzstudentinnen Jutta Schönhofer, Meret Wasser und Ursina Bösch haben das Stück im Rahmen ihres Masterstudiengangs selbst entworfen – von der Idee über die Choreografie bis zur tänzerischen Umsetzung und gehen damit auf Tournee. „Es gehört zu unserer Ausbildung, gemeinsam ein Projekt für junges Publikum zu entwickeln und es aufzuführen“, berichtet Jutta Schönhofer. Das Trio war in mehreren Schweizer Schulen zu Gast und ist nun nach Aufführungen in Berlin auch in die Uckermark gekommen. Der Angermünder Lehrer Wolfgang Rall hatte von diesem Projekt erfahren, war davon begeistert und fragte spontan an. Die Tänzerinnen sind zu Gast im Fachwerkhof Melzow und verbanden diese Reise mit einem Besuch in Angermünde.
 

 
Dass sie damit auch ins Ausland gehen, ist jedoch schon ungewöhnlich, passt für die drei Frauen jedoch zum Thema ihres Stückes, das über Grenzen geht. „Uns berührt das Thema Krieg, Migration und Flucht persönlich sehr. Und gerade in Deutschland ist das ja sehr aktuell. Wir möchten jungen Leuten mit unserer künstlerischen Ausdrucksweise ohne Worte, nur mit Bewegung, Körpersprache und Musik einen Zugang zu diesem Thema ermöglichen“, erklärt Jutta Schönhöfer das Anliegen.
Die Schweizerinnen schaffen durch ihren ausdrucksstarken Tanz und die Musik, teilweise ergänzt durch Radio-Nachrichten über Krieg und Fluchtbewegungen, in nur wenigen Minuten eine Atmosphäre, die bedrückt, verunsichert, verwirrt.
Die Schüler werden direkt in das Geschehen geworfen, erleben und gestalten das Stück mit. Gefragt wird dabei niemand. Sie müssen es über sich ergehen lassen, werden ihrer Taschen und Jacken beraubt, vom Stuhl geschoben, geschubst, in die Enge gedrängt, immer wieder umpositioniert und wissen nicht, was im nächsten Moment geschieht und wer der Nächste sein wird. Am Ende löst sich die Spannung in einer zunächst grotesk wirkenden Party-Maskerade auf. Das Leben geht weiter. Das Leben ist bunt.
In einem anschließenden Workshop können Schüler und Tänzer dieses im wahrsten Sinne des Wortes bewegende Stück gemeinsam aufbereiten und diskutieren offen und angeregt über das Erlebte sowie Gefühlte in der eigenen Rolle als Gestrandeter ohne wirklichen Platz. Schüler, Lehrer und Tänzer sind begeistert. „Wir kommen gern wieder, wenn Schulen mit uns arbeiten wollen“, so Jutta Schönhofer.

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