Das Kopernikus-Syndrom

Von Janin Zimmermann (Kl. 10/3)
Redakteurin bei InVitrO – Die Schülerzeitung im Schaukasten und im Internet
—————————————————————————————————————————————————–
,,Es gibt mich. Es gibt Sie. Es gibt sie. Es gibt mich, der ich schreibe, und es gibt Sie, der Sie vielleicht lesen. Aber diese Worte sind nicht ich. Sie lesen mich nicht. Überlegen Sie: Ich bin unzugänglich. Und ich sage das nicht, um mich aufzuspielen. Es ist so, es liegt in der Natur des Menschen. Verstehen Sie mich? Nein. Können Sie in mein Inneres sehen? Noch weniger. Auch ich kann nicht in sie hineinsehen, hier, jetzt. Versuchen Sie es nicht. Wir werden für immer Fremde bleiben.“
Nein, ich will aber verstehen. Alles. Jeden. Ich möchte Sie und mich verstehen. Gibt es da einen Zusammenhang? Wahrscheinlich.
Auf jeden Fall wollte ich Vigo Ravel verstehen. Dieser ist nämlich der äußerst ungewöhnliche Protagonist eines ergreifenden Psychothrillers. Sofort wird dem Leser klargemacht, dass unser lieber Vigo Ravel an auditiv-verbalen Halluzinationen leidet. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass er irgendwelche Stimmen in seinem Kopf hört, kann er sich außerdem auf keine Erinnerungen verlassen. Eine schreckliche Vorstellung durch das Leben zu irren, ohne zu wissen, wer man jemals war.
Auch sein logisches Denken ist erheblich gestört. Doch es hält ihn nicht davon ab, zur Arbeit zu gehen. Obwohl er gelernt hat, nicht auf seine Stimmen zu hören, übermannt ihn das Gefühl der Sterblichkeit, als er aus der Praxis seines Psychiaters flüchtet. Kurz darauf explodieren mehrere Sprengsätze. Das riesige Gebäude fällt in sich zusammen. Erinnerungen an das World-Trade-Center werden geweckt und diesmal gibt es nur einen Überlebenen – Vigo Ravel. In den Fernsehnachrichten verfolgt er dieselbe Katastrophe. Er hat es sich also nicht eingebildet. Aber waren seine geheimnissvollen Stimmen nun real oder nicht? Auf jeden Fall retteten sie ihm das Leben.
Auf der Suche nach der Wahrheit und sich selbst, muss der 36-jährige alles in Frage stellen. In seinen Tagebucheinträgen schreibt er seine Gedanken über seine derzeitige Verfassung, Ängste, Einsamkeit und den verzweifelten Versuchen die Realität zu verstehen, auf. Meiner Meinung nach sind diese sogenannten Moleskin-Tagebücher das Beste, was der französische Schriftsteller Henri Loevenbruck in seinem Buch ,,Das Kopernikus-Syndrom“ geschrieben hat. Die tiefgründigen Poesien über das Leben und der verzweifelte Kampf ein wenig Wahrheit zu erhaschen, ließ mich bis ans Ende und darüber hinaus nicht mehr los.
Das einzige, was ich ein wenig bemängeln muss, sind die vielen französischen Ortsnamen. Man verliert sehr schnell den Überblick und so erscheinen sie für mich überflüssig. Das am 1. März 2008 erschienene Buch hat den üblichen Taschenbuchpreis von 8.95 € und eine angemessene Seitenanzahl von 496 Seiten.
Entweder wird man als Leser selbst schizophren oder man sieht zumindest in allem einen Zusammenhang, um den Schatten der Wahrheit zu erhaschen. Man folgt einem undurchsichtiges Phantom, um letztendlich erschrocken zu sein, dass man die ganze Zeit sich selbst gejagt hat. Aber dann kann man doch wenigstens die Gewissheit im Herzen tragen, dass man sich selbst kennt. Wir sollten uns die Frage stellen, ob die Welt in der wir leben, auch wirklich die Welt ist, die wir glauben zu kennen.
,,Die Erfindung der Sprache ist das beste Eingeständnis unserer Unfähigkeit, uns zu verstehen.“
 

Coverabbildung mit freundlicher Genehmigung der Verlagsgruppe Droemer Knaur

4 thoughts on “Das Kopernikus-Syndrom

  1. Liebe Janin,
    als ich deinen wundervollen Artikel zum ersten mal gelesen habe, bekam ich Lust, das Buch selbst zu lesen. Ich habe es jetzt fast durch gelesen und es ist der Hammer! Ein echter Psychothriller. Du hast es perfekt beschrieben. Deine Art zu schreiben (die ich sehr zu schätzen weiß), die Zitate, deine Gefühle und den Inhalt in einen Artikel zu packen ist sehr schwer. Ein klasse Artikel und ein klasse Buch 😉 Ich würde mich freuen, wenn du noch mehr derartiger Bücher findest und eine Kritik darüber schreibst. Weiter so!!

  2. Ich selbst kenne dieses Buch zwar nicht. Doch so anschaulich, wie du es beschreibst bekomme ich Lust, es selbst zu lesen,

  3. Mir gefallen, ich wiederhole mich da gern, deine Kritiken ob nun zu Musik oder Literatur ungemein. Da schlummert ein echtes Talent in dir. Auch wenn mich das Buch (trotz deiner positiven Kritik) nicht angesprochen hat, kann ich dich nur ermutigen, weiter zu schreiben.

  4. Liebe Janin,
    auch von Verlagsseite ein ganz herzliches Dankeschön und ein großes Lob für die ausführliche Rezension. Ihr Stil gefällt mir sehr gut – und natürlich, dass Sie das Buch empfehlen 🙂
    Rebecca Klöber
    Verlagsgruppe Droemer Knaur

Schreibe einen Kommentar